Das Amtsgericht Lörrach entschied am 05. Februar 2024 im Fall 3 C 661/23 über die Pflicht zur Herausgabe von Voicefiles sowie die Übernahme vorgerichtlicher Anwaltskosten bei einer datenschutzrechtlichen Auskunft nach Artikel 15 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Der Kläger forderte von der Beklagten vollständige Auskunft über die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten nach Artikel 15 DSGVO, einschließlich eines Audiomitschnitts eines Telefonats, das ohne seine Zustimmung aufgezeichnet wurde. Nachdem die Beklagte die Auskunft nicht vollständig erteilte, erhob der Kläger Klage.
Entscheidungsgründe des Gerichts bezüglich der Herausgabe von Voicefiles:
- Recht auf vollständige Auskunft (Art. 15 DSGVO): Das Gericht bestätigte, dass der Kläger ein Recht auf vollständige Auskunft über die Verarbeitung seiner Daten hat, einschließlich der Herausgabe der Voicefiles. Die Beklagte hatte diese Daten nicht freiwillig herausgegeben, was eine wesentliche Informationslücke in der vom Kläger geforderten Datenauskunft darstellte.
- Beweislast der Datenverarbeitung: Das Gericht wies darauf hin, dass die Beklagte die Pflicht hatte, den Nachweis zu erbringen, dass sie die angeforderten Voicefiles nicht mehr besitzt oder bereits herausgegeben hat. Da kein solcher Beweis erbracht wurde, folgte daraus die Pflicht zur Herausgabe der Audioaufzeichnung.
- Schutz personenbezogener Daten: Die Entscheidung unterstreicht die Wichtigkeit des Schutzes personenbezogener Daten und stellt klar, dass auch Voicefiles unter diese Schutzkategorie fallen und somit vom Recht auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO abgedeckt sind.
Argumente bezüglich der vorgerichtlichen Anwaltskosten als Schadenersatz gemäß Art. 82 DSGVO:
- Rechtswidrige Datenverarbeitung: Das Gericht fand, dass die Beklagte die Daten des Klägers rechtswidrig verarbeitet hatte, da sie ohne Einwilligung gespeichert und verwendet wurden, um Vertragsabschlüsse anzubahnen. Diese Handlung stellte einen klaren Verstoß gegen Art. 6 DSGVO dar.
- Schadenersatzanspruch: Der Kläger hatte Anspruch auf Schadenersatz für vorgerichtliche Anwaltskosten, die ihm durch die rechtswidrige Verarbeitung seiner Daten entstanden sind. Das Gericht begründete dies damit, dass Art. 82 DSGVO ausdrücklich Schadenersatz für jede Art von Schaden vorsieht, der durch Verstöße gegen die Verordnung entstanden ist.
- Höhe des Schadens: Die Höhe des Schadens wurde nach nationalen Vorschriften bemessen, musste jedoch den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität des Unionsrechts entsprechen. Das Gericht erkannte die Notwendigkeit an, die durch die rechtswidrige Datenverarbeitung entstandenen Anwaltskosten als direkten und konkreten Schaden des Klägers anzuerkennen.
Bemerkenswert sind die Ausführungen des Gerichts hierzu, dass es einem juristischen Laien nicht zugemutet werden kann, dass dieser die Regelungen und Ansprüche aus der DSGVO kennt und er sich daher anwaltlicher Hilfe bedienen darf:
Hinsichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten ist es im Rahmen von § 249 BGB anerkannt, dass diese ersetzt werden müssen, wenn man sich vorprozessual anwaltlicher Hilfe bedient hat, um einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen (BeckOGK/Brand, 1.3.2022, BGB § 249 Rn. 178). Der Kläger macht aber Rechtsanwaltskosten geltend, weil er sich zur Durchsetzung seines Anspruchs aus Art. 15 DSGVO eines Anwalts bedient hat, was keinen Schadensersatzanspruch beinhaltet. Ein Schaden müsste sich damit aus den allgemeinen Grundsätzen der §§ 249 ff. BGB ergeben.
Nach der Differenzhypothese sind die Güterlagen mit und ohne schädigendes Ereignis zu bewerten (BeckOGK/Brand, 1.3.2022, BGB § 249 Rn. 12). Danach kann ein Schaden angenommen werden, weil das schädigende Ereignis die Erlangung der Daten durch die Beklagte und deren Verwendung ist. Ohne dieses Ereignis, hätte der Kläger niemals einen Anspruch aus Art. 15 DSGVO geltend machen wollen.
Die Beauftragung eines Anwalts geschah nach dem schädigenden Ereignis und basiert auf einem eigenen Willensentschluss des Klägers. Es handelt sich aber trotzdem um einen unfreiwilligen Schaden und keine Aufwendung als freiwilliges Vermögensopfer. Ein Schaden bei freiwilligen Vermögensopfern liegt vor, wenn sie aus Sicht eines verständigen Menschen in der Lage des Geschädigten erforderlich sind, um die Folgen einer Rechtsgutsverletzung zu beseitigen. (BeckOGK/Brand, 1.3.2022, BGB § 249 Rn. 10) Das ist vorliegend der Fall. Die Rechtsgutsverletzung ist die rechtswidrige Datenverarbeitung. Für den Kläger war es erforderlich, zunächst das Ausmaß dieser Rechtsgutsverletzung in Erfahrung zu bringen, um sich anschließend um die Schadensbehebung zu bemühen. Für die Durchsetzung des Anspruches aus Art. 15 DSGVO war auch die Einschaltung eines Anwalts erforderlich. Dem Kläger war es nicht nach § 254 BGB zuzumuten den Anspruch selbst zu verfolgen (so auch: LG Lübeck, Urteil vom 7. Dezember 2023 – 15 O 73/23 –, juris Rn. 192; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 20. Oktober 2023 – 10 O 1510/22 –, juris Rn. 162). Es kann nicht erwartet werden, dass ein juristischer Laie die Regelungen und Ansprüche aus der DSGVO kennt, um diese selbst durchzusetzen.
cc) Auch in der Literatur wird angenommen, dass vorgerichtliche Anwaltskosten ein Schaden sein können (BeckOK DatenschutzR/Quaas, 46. Ed. 1.11.2023, DS-GVO Art. 82 Rn. 29; Boehm in: Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann, Datenschutzrecht, 1. Auflage 2019, DSGVO Art. 82 Rn. 28: gerade in Bezug für die Ermittlung und Hilfe den immateriellen Schaden zu beseitigen). Auch in der Rechtsprechung wird dies angenommen (LG Lübeck, Urteil vom 7. Dezember 2023 – 15 O 73/23 –, juris Rn. 192; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 20. Oktober 2023 – 10 O 1510/22 –, juris Rn. 162).
https://www.landesrecht-bw.de/perma?d=NJRE001565497
Auswirkungen für die Praxis:
Dieses Urteil betont die Notwendigkeit für Unternehmen, die rechtlichen Bestimmungen zum Schutz personenbezogener Daten ernst zu nehmen, insbesondere im Hinblick auf die Datenerfassung ohne Einwilligung. Es zeigt auch, dass Gerichte bereit sind, Betroffenen Schadenersatz für Rechtsverletzungen zu gewähren, was die Bedeutung einer sorgfältigen Überprüfung der Datenspeicherungs- und Verarbeitungspraktiken unterstreicht. Unternehmen sollten sicherstellen, dass sie die Einwilligung der Dateninhaber einholen und transparent über die Verwendung von gespeicherten Daten informieren, um solche rechtlichen Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Stefan Lutz, LL.M.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht
externer Datenschutzbeauftragter
Lehrbeauftragter für IT-Recht an der RWU
Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Stefan Lutz, LL.M. berät Firmen und private Mandanten in den Rechtsgebieten des IT-Rechts, wozu unter anderem das Datenschutzrecht (BDSG, DSGVO, TDDDG...), Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, E-Commerce-Recht, Social Media Recht und das Recht der Künstlichen Intelligenz gehören.
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