BGH-Urteil: Haftung von Online-Marktplätzen für Urheberrechtsverletzungen

Mit seinem Urteil vom 23. Oktober 2024 (Az. I ZR 112/23) hat der Bundesgerichtshof (BGH) erstmals eine Entscheidung zur Haftung von Online-Marktplätzen bei Urheberrechtsverletzungen auf Basis von Nutzer-Uploads getroffen. Das Urteil ist richtungsweisend, da es die unionsrechtlichen Grundsätze zur Haftung für Plattformbetreiber ausdehnt und klare Prüfpflichten für die Betreiber von Verkaufsplattformen formuliert. Die Entscheidung folgt der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Haftung von Video-Sharing- und Sharehosting-Diensten und überträgt diese Grundsätze auf Online-Marktplätze.

Der Sachverhalt: Unerlaubte Nutzung eines Fotos auf Online-Verkaufsplattform

Ein britischer Fotograf klagte gegen den Betreiber einer deutschen Online-Verkaufsplattform, da auf der Plattform in mehreren Angeboten eines Drittanbieters sein urheberrechtlich geschütztes Lichtbildwerk „Manhattan Bridge“ als Produktbild ohne Zustimmung und ohne Nennung seines Namens verwendet wurde. Die Plattform ermöglichte es Verkäufern, ihre Produkte eigenständig anzubieten und Produktbilder hochzuladen. Der Fotograf forderte vom Plattformbetreiber neben Schadensersatz auch die Löschung der rechtsverletzenden Inhalte sowie die Sperrung weiterer gleichartiger Angebote. Der Betreiber unternahm jedoch nicht alle geforderten Schritte, woraufhin der Fotograf Klage erhob.

Die Entscheidungsgründe des BGH

Der BGH stellte in seiner Entscheidung heraus, dass die Plattformhaftung bei Online-Marktplätzen unter bestimmten Umständen gegeben ist. Die Richter urteilten, dass die unionsrechtlichen Haftungsgrundsätze für Plattformbetreiber, die für Video-Sharing-Plattformen entwickelt wurden, auf Marktplätze anwendbar sind, sofern eine zentrale Rolle des Plattformbetreibers bei der Bereitstellung und Wiedergabe urheberrechtsverletzender Inhalte vorliegt. Der BGH führte dabei drei wesentliche Aspekte aus:

1. Übertragung der Plattformhaftung auf Online-Marktplätze

Der BGH stellte fest, dass Online-Marktplätze – ähnlich wie Video-Sharing- oder Sharehosting-Plattformen – nach einem Hinweis auf eine Rechtsverletzung durch den Urheber nicht nur das spezifisch beanstandete Angebot löschen, sondern auch auf gleichartige Verletzungshandlungen achten müssen. Plattformen haften somit für die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Werke, wenn sie in einer Weise zur Nutzung durch Dritte angeboten werden, dass eine Prüfungspflicht entsteht.

2. Prüfungspflichten nach einem klaren Hinweis auf Rechtsverletzungen

Das Gericht stellte fest, dass der Plattformbetreiber nach einem Hinweis des Rechteinhabers nicht nur die konkrete Rechtsverletzung entfernen muss, sondern sich auch vergewissern muss, dass keine ähnlichen Verletzungen auf der Plattform vorkommen. Dies bedeutet, dass der Betreiber des Online-Marktplatzes verpflichtet ist, systematisch ähnliche Verstöße zu verhindern, sofern diese im Rahmen des wirtschaftlich und technisch Zumutbaren liegen. Diese Pflicht bezieht sich jedoch auf gleichartig präsentierte Angebote, nicht jedoch auf sämtliche Angebote, die das urheberrechtlich geschützte Werk beinhalten könnten.

3. Haftung für Vervielfältigungen ausgeschlossen

Eine Haftung des Plattformbetreibers für die Herstellung von Vervielfältigungsstücken wurde vom BGH verneint. Der Gerichtshof stellte klar, dass eine Haftung für die Speicherung der urheberrechtlich geschützten Inhalte auf den Servern der Plattform nicht auf den Betreiber übertragen werden kann. Im vorliegenden Fall sei ausschließlich der Verkäufer selbst als Hersteller der rechtsverletzenden Kopien anzusehen. Die technische Hilfestellung durch die Plattform zur Erstellung eines Angebots sowie der Import der Produktdaten durch die Plattform genüge nicht, um eine eigene Haftung als Vervielfältiger zu begründen. Auch die Rechtsprechung zur Haftung für die öffentliche Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Inhalte sei hierauf nicht übertragbar.

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil des BGH setzt neue Maßstäbe für die Haftung von Online-Marktplätzen und stärkt die Rechtsposition von Urhebern gegenüber Plattformbetreibern. Es konkretisiert, in welchen Fällen Plattformbetreiber zur Sperrung und Überprüfung von Inhalten verpflichtet sind. Die Prüfungspflichten greifen jedoch erst, wenn der Plattformbetreiber einen klaren Hinweis auf eine Rechtsverletzung erhält. Nach einem solchen Hinweis müssen Plattformbetreiber technische und wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen ergreifen, um vergleichbare Urheberrechtsverletzungen in künftigen Angeboten zu verhindern.

Für die Betreiber von Online-Marktplätzen ergibt sich aus diesem Urteil eine Pflicht zur fortlaufenden Überwachung und Filterung von Inhalten, soweit dies im Rahmen des Zumutbaren liegt. Der Plattformbetreiber bleibt jedoch weiterhin als „Störer“ haftbar und nicht als direkter Verletzer, sofern er nach einem Hinweis Maßnahmen zur Verhinderung erneuter Verstöße ergreift. Das Urteil lässt offen, ob weitere proaktive Prüfpflichten ohne konkreten Anlass bestehen.

Fazit

Mit diesem Urteil erweitert der BGH die Haftungsgrundsätze auf Online-Marktplätze und schafft Klarheit in Bezug auf die Verantwortlichkeit von Plattformbetreibern für urheberrechtsverletzende Inhalte. Die Verpflichtung zur Überprüfung gleichartiger Verstöße im Falle eines Hinweises stärkt den Schutz von Urheberrechten in der digitalen Welt und regelt zugleich, in welchem Umfang Plattformbetreiber präventiv tätig werden müssen.

Stefan Lutz, LL.M.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht
externer Datenschutzbeauftragter
Lehrbeauftragter für IT-Recht an der RWU

Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Stefan Lutz, LL.M. berät Firmen und private Mandanten in den Rechtsgebieten des IT-Rechts, wozu unter anderem das Datenschutzrecht (BDSG, DSGVO, TDDDG...), Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, E-Commerce-Recht, Social Media Recht und das Recht der Künstlichen Intelligenz gehören.

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