Hinweisbeschluss des LG Kempten: Berufung der Firma Digistore24 GmbH voraussichtlich erfolglos

Das Landgericht Kempten hat in seinem Hinweisbeschluss vom 17.06.2024 (Az. 51 S 475/24) klar Stellung bezogen: Die Berufung der Firma Digistore24 GmbH gegen das Urteil des Amtsgerichts Kempten vom 18.03.2024 (Az. 6 C 111/24) hat keine Aussicht auf Erfolg und soll gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden.

Hintergrund des Falles

Die Klägerin hatte einen Fernunterrichtsvertrag (Coaching-Vertrag) mit der Firma Digistore24 GmbH abgeschlossen. Dieser Vertrag wurde später von der Klägerin widerrufen, wobei sie sich auf das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) berief. Das Amtsgericht Kempten hatte bereits zugunsten der Klägerin entschieden und festgestellt, dass der Vertrag nichtig sei.

Wichtig hierbei ist auch zu wissen, dass der Coaching Vertrag nicht durch die digistore24 GmbH ausgeführt wird, sondern diese sich sogenannter Erfüllungsgehilfen bedient, den Coaching Anbietern, welche ihre Coachings über digistore24 an den Mann bzw. die Frau bringen möchten. Dort wird sodann dem Teilnehmer ein Kreuzchen abgerungen, wonach dieser bestätigen soll, dass er auf sein Widerrufsrecht verzichtet. Ausgelegt seien die Coachings ausschließlich für Unternehmer, so dass ein Widerrufsrecht – so die meisten Coaching Anbieter – nicht bestehen würde.

Kernaussagen des Landgerichts Kempten

Das Landgericht Kempten bestätigt die Entscheidung der Vorinstanz in mehreren wesentlichen Punkten:

1. Bereicherungsrechtlicher Anspruch

Das Gericht stellte klar, dass der Klägerin ein bereicherungsrechtlicher Anspruch zusteht, da § 7 Abs. 1 FernUSG einschlägig ist. „Aufgrund der unstreitigen Vertragsunterlagen, vergleiche Anlage K2, hat die Klägerin einen Fernunterrichtsvertrag im Sinne von § 1 des FernUSG abgeschlossen.“

2. Bedeutung des Vertragsinhalts

Die Beklagte hatte behauptet, es sei keine Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten geschuldet gewesen. Dies wurde jedoch durch den Vertragstext widerlegt, in dem festgehalten ist, dass die Klägerin zum selbstständigen „Copywriter“ ausgebildet wird. Das Gericht merkte an: „Eine Ausbildung ohne Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten ist nicht denkbar.“

Das Landgericht führt hierzu aus:

Aufgrund der unstreitigen Vertragsunterlagen, vergleiche Anlage K2, hat die Klägerin einen Fernunterrichtsvertrag im Sinne von § 1 des FernUSG abgeschlossen.Soweit die Beklagtenseite auch in der Berufung behauptet, dass keine Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten im Sinne des Gesetzes geschuldet gewesen sei, wird dies zum einen von der Beklagtenseite nicht weiter ausgeführt und widerspricht dem eigens von ihr verwendeten Vertragstext. In der vorbezeichneten Anlage K2 wird dargestellt, dass die Klägerin zum selbstständigen „Copywriter“ ausgebildet (Unterstreichung durch die Kammer) wird.

3. Verwendung von Begrifflichkeiten

Das Gericht legte besonderen Wert auf die von der Beklagten verwendeten Begrifflichkeiten, wie „MBA“ und „Zertifikat“, die einen geprüften Abschluss suggerieren. „Diese Begrifflichkeiten suggerieren zwangsläufig einen geprüften Abschluss, was der Leistungskontrolle im Sinne von § 1 Nummer 2 FernUSG entspricht.“

Das Landgericht Kempten führt zu diesem Themenkomplex aus:

Eine Ausbildung ohne Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten ist nicht denkbar. Ein weiteres ergibt sich aus der weiteren Bezeichnung dieser Ausbildung durch die Beklagtenseite. Dort wird im Fettdruck das Kürzel „MBA “verwendet. Dies suggeriert (Master auf Business Administration ) die Wertigkeit eines postgradualen generalistischen Management Studiums. Also einer Ausbildung, welche einem überprüften Qualitätsstandard unterliegt.

An diesen von der Beklagtenseite bewusst verwendeten Begrifflichkeiten muss sich die Beklagtenseite festhalten lassen. Diese Begrifflichkeiten suggerieren zwangsläufig einen geprüften Abschluss, was der Leistungskontrolle im Sinne von § 1 Nummer 2 FernUSG entspricht.

Verstärkend in diesem Sinne kommt hinzu, dass die Beklagtenseite ein „Zertifikat “ verspricht. Als allgemeinbekannt kann vorausgesetzt werden, dass es sich bei einem Zertifikat um die Bewertung einer Leistung handelt und über den bloßen Teilnahmenachweis, der lediglich bescheinigt, körperlich anwesend gewesen zu sein, hinausgeht. In rechtlicher Hinsicht kommt es somit schon aufgrund der verwendeten Begrifflichkeiten nicht darauf an, dass die beklagten Partei behauptet, diese von ihr verwendeten Begriffe tatsächlich nicht auszufüllen (widersprüchlicherweise) und somit möglicherweise den Anwendungsbereich des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) eröffnet.

4. Rechtliche Einordnung von Online-Inhalten

Auch wenn synchrone Einheiten angeboten wurden, handelte es sich bei den bereitgestellten Inhalten überwiegend um Selbstlernmaterial. „Zum einen war die Teilnahme an den sogenannten Live-Calls nicht verpflichtend, zum anderen wurden diese aufgezeichnet und waren anschließend nachträglich abrufbar.“

Das LG Kempten führt dazu aus:

Der Anwendung des FernUSG steht nicht entgegen, dass die Beklagte auch synchrone Einheiten anbietet. Tatsächlich sind hier Lehrende und Lernende räumlich getrennt, § 1 Nummer 1 FernUSG. Das Amtsgericht hat zutreffend aus der Rechtsprechung zitiert, welche bezugnehmend auf die Ratio des FernUSG ausführt:„ insbesondere waren Mängel beim Angebot von Fernlehrgängen dergestalt festgestellt worden, dass Angebote von geringer methodischer und fachlicher Qualität angeboten wurden, die nicht geeignet waren, dass in der Werbung genannte Lehrgangsziel zu erreichen.“ Auch nach Auffassung der Berufungskammer ist dies ein maßgeblicher Umstand, welcher bei einem Ausbildungsangebot zu berücksichtigen ist. Derjenige, der ein Ausbildungsinstitut mit (Unterichts -) Räumlichkeiten und eigenem Fachpersonal, insbesondere persönlichen Ansprechpartnern, vorhält, bietet schon aufgrund dieser erheblichen Aufwendungen eine deutlich höhere Gewähr von Qualität und Seriosität. Insofern spricht zunächst einmal alles dafür, dass der Gesetzgeber ausdrücklich großen Wert auf den Begriff der räumlichen Trennung gelegt hat. Obgleich viele Gerichten eine dahingehende Auslegung vornehmen, wonach Onlineunterrichte nicht unter den Begriff der räumlichen Trennung zu fassen seien. So wird argumentiert, dass der Gesetzgeber bei Inkrafttreten des Fernunterrichtsschutzgesetzes (Januar 1977) online – Eventualitäten naturgemäß noch nicht berücksichtigen habe können, vergleiche zb. Landgericht München, Urteil vom 12. Februar 2024, 29 O 12157 / 23, abrufbar über Beck RS 2024,3463, Rn. 39.

Dem ist nicht ohne weiteres zu folgen. Die Anpassung von Gesetzen ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber hat in der Vergangenheit regelmäßig Anpassungen, Änderungen und Erweiterungen im Hinblick auf die Digitalität vorgenommen. Beispielsweise zuletzt im Kaufrecht durch das Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderen Aspekten des Kaufvertrags vom 25.06.2021 (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2021, Teil I Nummer 37)

5. Unternehmereigenschaft der Klägerin

Die Beklagte argumentierte, die Klägerin sei keine Verbraucherin, da sie den Vertrag abgeschlossen habe, um gewerblich tätig zu werden. Das Gericht widersprach: „Tatsächlich ist jedoch für § 14 BGB der Zeitpunkt des geschäftlichen Handelns maßgeblich.“

Die aufgeworfene Problematik einer eventuellen Unternehmereigenschaft der Klägerin hat keinen Einfluss auf den geltend gemachten Anspruch der Klägerin.

Das Amtsgericht hat richtigerweise auf die Rechtsprechung des OLG Celle verwiesen, wo nachvollziehbar dargelegt wird, dass die Geltung des Fernunterrichtsschutzgesetzes nicht auf Verbraucher beschränkt ist. Wobei dies dahingestellt bleiben kann. Bezüglich der Rechtsstellung der Klägerin hat die Beklagtenseite lediglich vorgetragen, dass die Klägerin nicht als Verbraucherin gehandelt habe, da das streitbefangene Produkt darauf ausgerichtet sei gewerblich und selbstständig tätig zu sein, vergleiche Schriftsatz vom 18.09.2023, Seite 8.Dieser Vortrag ist unschlüssig. Gemäß § 14 BGB ist Unternehmer eine natürliche oder juristische Person die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt.

Dass die Klägerin bei Abschluss des streitgegenständlichen Vertrages Unternehmerin gewesen sein soll, wird nicht dargestellt. Die Beklagtenseite stellt lediglich auf den Wunsch der Klägerin, Fähigkeiten zu erlangen, durch welche sie gewerblich tätig werden kann, ab. Tatsächlich ist jedoch für § 14 BGB der Zeitpunkt des geschäftlichen Handelns maßgeblich, vergleiche BeckOK BGB, Hau/Poseck, 70. Edition, Stand: 01.05.2024, § 14 Rn. 25.So sieht es auch der Bundesgerichtshof; uneingeschränkten Schutz als Verbraucher soll erhalten, wer sich noch nicht zur Existenzgründung entschlossen hat, sondern diesen Entschluss bloß vorbereitet (BGH NJW 2011, 1236 Rn. 24; 2008, 435 Rn. 7 f.)

6. Nichtigkeit des Vertrags

Gemäß § 7 Abs. 1 FernUSG ist der Vertrag nichtig, wodurch kein Vergütungsanspruch besteht. Das Gericht stellte fest: „D. h., dass es eine „Laufzeit des Vertrages“ nicht gegeben hat und insofern ein Vergütungsanspruch nicht besteht.“

Gemäß § 7 Abs. 1 Fernunterrichtsschutzgesetzes ist der streitgegenständliche Vertrag nichtig. D. h., dass es eine „Laufzeit des Vertrages“ nicht gegeben hat und insofern ein Vergütungsanspruch nicht besteht. Der Gesetzgeber hat im Fall der Nichtigkeit bewusst auf eine dem § 5 Abs. 3 Fernunterrichtsschutzgesetzes entsprechende Regelung verzichtet. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber für den Fall des Erlöschens der Zulassung nach Vertragsschluss auf die Verpflichtung zur Entrichtung eines Teilentgelts verwiesen hat, § 7 Abs. 3 FernUSG, nicht aber für den Fall der Nichtigkeit von Anfang an im Sinne von § 7 Abs. 1 FernUSG. Bekräftigt wird dies durch die Wertung von § 10 FernUSG, wodurch zum Nachteil des Teilnehmers von den vorgenannten Vorschriften nicht abgewichen werden kann. Im Übrigen hat die Klägerin nachvollziehbar dargelegt, nicht bereichert zu sein. Sie hat 3 Tage nach Vertragsschluss kundgetan, vom Vertrag Abstand zu nehmen. Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Laufzeit des Kurses 12 Wochen betrage und einen Zugang zu einem Mitgliederbereich für 12 Monate beinhalte. Maßgebliche Nutzungen im Sinne von § 818 Abs. 1 BGB sind aufgrund des insofern prozentual zu vernachlässigenden Zeitraumes weder ersichtlich noch dargetan.

Fazit

Das Landgericht Kempten sieht keinen Grund, von der Entscheidung des Amtsgerichts abzuweichen und beabsichtigt daher, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. „Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) […] zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.“

Dieser Beschluss stärkt die Rechte von Teilnehmern im Bereich des Fernunterrichts (Coaching Verträge) und unterstreicht die Wichtigkeit klarer und transparenter Vertragsbedingungen. Wenn Sie rechtliche Unterstützung in ähnlichen Fällen benötigen, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Stefan Lutz, LL.M.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht
externer Datenschutzbeauftragter
Lehrbeauftragter für IT-Recht an der RWU

Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Stefan Lutz, LL.M. berät Firmen und private Mandanten in den Rechtsgebieten des IT-Rechts, wozu unter anderem das Datenschutzrecht (BDSG, DSGVO, TDDDG...), Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, E-Commerce-Recht, Social Media Recht und das Recht der Künstlichen Intelligenz gehören.

Telefon: 0751 / 27 088 530

 lutz@datenschutz-rv.de  https://www.datenschutz-rv.de