Das Oberlandesgericht (OLG) München hat in einem Hinweisbeschluss vom 19.11.2024 (Az. 27 U 2473/24 e) entschieden, dass ein Verbraucher keinen Anspruch auf Löschung eines Negativ-Eintrags oder auf die Neuermittlung seines Bonitätsscores gegenüber einer Wirtschaftsauskunftei hat, wenn die Datenverarbeitung rechtmäßig erfolgte. Dieses Urteil ist nicht nur für Verbraucher, sondern auch für Unternehmen und Wirtschaftsauskunfteien von Bedeutung, da es die Grenzen und Anforderungen des Datenschutzrechts im Kontext der Bonitätsbewertung konkretisiert.
Hintergrund des Falls
Der Kläger hatte aufgrund einer verzögerten Zahlung von etwa 385 Euro einen Negativ-Eintrag bei einer Wirtschaftsauskunftei erhalten. Diesen wollte er löschen lassen, da er der Ansicht war, dass der Eintrag seine Bonität unzulässig beeinträchtige und ihm dadurch Nachteile, insbesondere bei der Wohnungssuche, entstanden seien. Weiter forderte er die Neuermittlung seines Bonitätsscores ohne Berücksichtigung des Eintrags sowie die Erstattung von Rechtsanwaltskosten.
Das Landgericht Augsburg wies die Klage in erster Instanz ab. Der Kläger legte Berufung ein, die jedoch vom OLG München gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wurde, da sie keine Aussicht auf Erfolg hatte.
Rechtlicher Rahmen: Datenschutz und berechtigtes Interesse
Die zentrale Frage war, ob die Speicherung und Verarbeitung des Negativ-Eintrags durch die Wirtschaftsauskunftei rechtmäßig war. Das OLG München stützte sich dabei auf die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), insbesondere auf Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO, der die Verarbeitung personenbezogener Daten erlaubt, wenn ein berechtigtes Interesse des Verantwortlichen oder eines Dritten besteht und keine überwiegenden Rechte der betroffenen Person entgegenstehen.
Berechtigtes Interesse der Auskunftei
Das Gericht betonte, dass das Geschäftsmodell der Auskunftei auf der Bereitstellung bonitätsrelevanter Informationen basiert und dies ein berechtigtes Interesse darstellt. Auch kleine Forderungen, wie im vorliegenden Fall, seien für die Bonitätsbewertung relevant, da das Zahlungsverhalten bei geringeren Beträgen ebenfalls Rückschlüsse auf die zukünftige Zahlungsfähigkeit und -willigkeit zulasse.
Abwägung der Interessen
Die Interessenabwägung fiel zugunsten der Auskunftei und ihrer Vertragspartner aus. Diese haben ein schützenswertes Interesse daran, zuverlässige Informationen zur Bonität ihrer potenziellen Vertragspartner zu erhalten. Die Speicherung des Negativ-Eintrags war zudem erforderlich, um die vertraglichen Pflichten der Auskunftei gegenüber ihren Kunden zu erfüllen.
Kein Anspruch auf Löschung nach Art. 17 DSGVO
Ein Löschungsanspruch nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO setzt voraus, dass die Verarbeitung der Daten entweder von Anfang an unrechtmäßig war oder durch Zeitablauf unrechtmäßig geworden ist. Das Gericht stellte jedoch fest, dass die Verarbeitung rechtmäßig war, da:
- Der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO eröffnet war.
- Die Verarbeitung auf einem berechtigten Interesse beruhte.
- Die Interessen des Klägers nicht überwogen.
Der Umstand, dass es sich um eine vergleichsweise geringe Forderung handelte, änderte an der Rechtmäßigkeit nichts. Auch die Dauer der Speicherung war nicht unverhältnismäßig, da die Daten weiterhin für die Bonitätsbewertung relevant waren.
Kein Anspruch auf Neuermittlung des Scores
Mangels eines Löschungsanspruchs scheiterte auch der Antrag des Klägers, den Bonitätsscore ohne Berücksichtigung des Negativ-Eintrags neu zu berechnen. Das Gericht betonte, dass die Scoreberechnung auf rechtmäßig gespeicherten Daten basierte und keine unzulässige automatisierte Entscheidung im Sinne von Art. 22 DSGVO vorlag.
Relevanz für Verbraucher und Unternehmen
Das Urteil des OLG München unterstreicht, dass Verbraucher sorgfältig mit ihren Zahlungsverpflichtungen umgehen sollten, da auch kleinere Verzögerungen langfristige Auswirkungen auf ihre Bonität haben können. Für Wirtschaftsauskunfteien und Unternehmen schafft die Entscheidung rechtliche Klarheit: Die Verarbeitung bonitätsrelevanter Daten ist zulässig, sofern sie auf einem berechtigten Interesse basiert und die DSGVO-Vorgaben eingehalten werden.
Fazit
Das OLG München zeigt in seinem Beschluss klare Grenzen für Ansprüche auf Löschung und Neuermittlung von Bonitätsscores auf. Unternehmen und Verbraucher sollten gleichermaßen beachten, dass die Speicherung von Negativ-Einträgen rechtmäßig ist, sofern sie auf berechtigten Interessen basiert und keine überwiegenden Rechte des Betroffenen entgegenstehen.
Stefan Lutz, LL.M.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht
externer Datenschutzbeauftragter
Lehrbeauftragter für IT-Recht an der RWU
Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Stefan Lutz, LL.M. berät Firmen und private Mandanten in den Rechtsgebieten des IT-Rechts, wozu unter anderem das Datenschutzrecht (BDSG, DSGVO, TDDDG...), Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, E-Commerce-Recht, Social Media Recht und das Recht der Künstlichen Intelligenz gehören.
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