Das LG Wiesbaden, 10 O 14/21, Urteil vom 22.01.2022, hat entschieden, dass einer Privatperson kein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog zusteht, da die DSGVO insoweit abschließenden Charakter besitzt.
Was war Gegenstand der Entscheidung?
Der Kläger gab an, als Verbraucher bei der Beklagten im Jahre 2020 Haushaltswaren im Onlineshop unter Angabe seines Namens und seiner Anschrift bestellt zu haben. Die Beklagte betreibt die Internetseiten [xxx]. Nähere Angaben zum Bestellvorgang hat der Kläger nicht gemacht.
Der Kläger war der Ansicht, dass auf den Websites der Beklagten eine Vielzahl von gravierenden Datenschutzrechtsverletzungen festzustellen seien und eine unzuverlässige Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten erfolgt sei. Die Beklagte habe bewusst Schadsoftware in ihrer Seite eingebunden, die den Internet-Browser des Klägers dahin manipuliere, dass personenbezogene Daten des Klägers nicht nur unzulässig von der Beklagten selbst verarbeitet würden, sondern auch irrevisibel an ausländische Drittunternehmen weitergeleitet würden, um das Internet-Nutzungsverhalten des Klägers sowie Daten über seinen Rechner und Internetanschluss auszuspähen und hieraus umfassende Persönlichkeitsprofile zu erstellen (so genannte Tracker). Auch habe die Beklagte im Rahmen einzelne dieser Tracker einwillligungsbedürtige Cookies auf dem Rechner des Klägers ohne Einwilligung gespeichert.
Der Kläger war der Ansicht, dass ihm deshalb ein Unterlassungsanspruch wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zustehe. Des Weiteren liege ein Verstoß gegen Art. 26 DSGVO (gemeinsame Verantwortlichkeit) vor und ein Verstoß gegen Art. 44 DSGVO (Drittland-Übermittlung).
Was wollte der Kläger?
Der Kläger beantragte daher die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, ihre Websites oder jeweils Subdomains oder Unterseiten hiervon mit einem der folgenden Dienste in der Weise auszuliefern, dass beim Seitenaufruf personenbezogene oder -beziehbare Daten des Klägers – wie dessen IP-Adresse – an den jeweiligen Betreiber dieser Dienste oder von diesen hierzu Beauftragte übermittelt werden, es sei denn, der Kläger hat hierin im Sinne des Art. 4 Nr. 11 DSGVO zuvor eingewilligt:a) Google Tag Manager
b) Google Analytics
c) Google Fonts
d) Google Recaptca
e) Google Optimize
f) Doubleclick
g) Youtube
h) Facebook
i) Pinterest
j) Taboola
k) Fonts Awesome
l) Fonts.com
m) Bing Ads
n) Cquotient
o) Amplify
p) Trbo
q) Zenloop
Und das Gericht so?
Die Klage ist unzulässig. Der Klageantrag ist nicht hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Aber die Klage war darüber hinaus auch unbegründet.
Im Übrigen scheitert der Antrag des Klägers daran, dass der Kläger für seinen Anspruch keine Anspruchsgrundlage zur Verfügung steht. Ausdrücklich verlangt der Kläger Unterlassung und bezieht sich inhaltlich auf Normen, die sich in der DSGVO finden. Die DSGVO sieht allerdings gerade keinen Unterlassungsanspruch vor. Sofern er sich auf die Art. 6 und Art. 44 DSGVO bezieht, handelt es dabei gerade nicht um Anspruchsgrundlagen. Für einen zivilrechtlichen Anspruch reicht jedenfalls nicht aus, dass es Vorschriften im Sinne von Erlaubnis- oder Verbotsnormen gibt, sondern dass es muss Norm geben, die für den Einzelnen einen subjektiven Anspruch formuliert und damit als Grundlage für die Geltendmachung eines Anspruchs herangezogen werden kann.
Die Anspruchsgrundlage, die die DSGVO vorsieht, ist der Art. 17, der aber nicht das klägerische Begehren abdeckt, da es dem Kläger nicht um das Recht auf Löschung seiner Daten geht. Die Entscheidungen, die er für seinen Anspruch anführt, so z.B. BGH, Urteil vom 27. 7. 2020, Az. VI ZR 405/18 beschäftigen sich im Gegensatz zu seinem Begehren jedoch genau mit diesem Anspruch gemäß Art. 17 DSGVO. In diesem Fall, den der Kläger zur Begründung angeführt hat, ging es jedoch um die Voraussetzungen eines Auslistungsanspruchs gegen den Verantwortlichen eines Internet-Suchdienstes (Entfernung von links aus Suchergebnislisten) und gerade nicht um einen Unterlassungsanspruch.
Sofern der Kläger der Ansicht ist, dass hier § 1004 BGB analog i.V.m. Art. 6 DSGVO gelten müsse, kann dem nicht gefolgt werden. Ein dem § 1004 BGB vergleichbaren Unterlassungsanspruch sehen die Regelungen der DSGVO nicht vor. Bei der DGSVO handelt es sich um vollharmonisiertes Gemeinschaftsrecht mit einem eigenen, abschließenden Sanktionssystem. Art.79 Abs. 1 DSGVO regelt das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift bleiben lediglich verwaltungsgerichtliche oder außergerichtliche Rechtsbehelfe unbeschadet. Die Inanspruchnahme von Zivilgerichten gehört nicht dazu. Damit gibt es eine Sperrwirkung.
LG Wiesbaden, Urteil vom 22.1.22, 10 O 14/21, https://rewis.io/urteile/urteil/fzi-22-01-2022-10-o-1421/
Eine entsprechende Öffnungsklausel in der DSGVO fehlt also, die eine Erweiterung der betroffenen Rechte durch den nationalen Gesetzgeber oder Gerichte erlauben würde. Eine solche Öffnungsklausel wäre aber erforderlich, da es sich um voll harmonisiertes Gemeinschaftsrecht handelt mit der Folge, dass die Mitgliedstaaten innerhalb des Anwendungsbereichs der DSGVO weder einen weiterreichenden noch einen geringeren Schutz vorsehen dürfen. Bei der Anwendung unionsrechtlich vollständig vereinheitlichter Regelungen sind diese aufgrund des grundsätzlichen Anwendungsvorrangs des Unionsrechts vorrangig. Dies bedeutet, dass die Anspruchsgrundlagen der DSGVO grundsätzlich als abschließend anzusehen sind.
Stefan Lutz, LL.M.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht
externer Datenschutzbeauftragter
Lehrbeauftragter für IT-Recht an der RWU
Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Stefan Lutz, LL.M. berät Firmen und private Mandanten in den Rechtsgebieten des IT-Rechts, wozu unter anderem das Datenschutzrecht (BDSG, DSGVO, TDDDG...), Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, E-Commerce-Recht, Social Media Recht und das Recht der Künstlichen Intelligenz gehören.
Telefon: 0751 / 27 088 530