Lieferverzug und digitale Kommunikation: WhatsApp-Nachrichten und Emojis im Vertragsrecht

Das Oberlandesgericht München hat mit seinem Urteil vom 11. November 2024 (Az. 19 U 200/24) eine wegweisende Entscheidung zur Rolle moderner Kommunikationsmittel im Vertragsrecht getroffen. Im Mittelpunkt standen Fragen zur Lieferverzögerung bei einem Luxusfahrzeug, zur Bedeutung von WhatsApp-Nachrichten bei der Wahrung der Schriftform und zur rechtlichen Auslegung von Emojis.

Der Fall zeigt, wie digitale Kommunikationsmittel die klassische Vertragsgestaltung herausfordern und welche rechtlichen Maßstäbe dabei gelten.

Sachverhalt: Ferrari, Lieferverzug und Fristsetzung

Der Kläger, ein Immobilienunternehmer, hatte bei einem Händler einen Ferrari SF90 Stradale für einen Kaufpreis inklusive Aufpreis von 80.000 Euro bestellt. Der Liefertermin wurde als „unverbindlich“ für das 2./3. Quartal 2021 festgelegt. Trotz mehrfacher Rückfragen und Verzögerungen erhielt der Käufer weder eine verbindliche Lieferzusage noch das Fahrzeug. Nach Ablauf einer gesetzten Nachfrist trat der Kläger vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückerstattung seiner Anzahlung.

Der Händler wehrte sich und argumentierte, dass der Lieferverzug durch „höhere Gewalt“ (die weltweite Chipkrise) bedingt sei. Zudem berief er sich auf WhatsApp-Nachrichten des Käufers, die angeblich eine Zustimmung zur Verlängerung des Liefertermins signalisierten, etwa durch die Verwendung von Emojis.

Rechtliche Kernfragen

  1. Kann eine Kommunikation per WhatsApp die vereinbarte Schriftform wahren?
  2. Welche rechtliche Bedeutung kommt Emojis zu, wenn sie in Textnachrichten verwendet werden?

Das Gericht hat hierzu wichtige Klarstellungen getroffen.

WhatsApp und die Schriftform: Was gilt rechtlich?

Nach § 127 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine vereinbarte Schriftform auch durch elektronische Kommunikation gewahrt werden, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart wurde. Textnachrichten per WhatsApp können daher die gewillkürte Schriftform erfüllen, sofern sie folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Dauerhafte Speicherung: WhatsApp-Nachrichten sind durch Backups oder Exportmöglichkeiten speicherbar.
  • Erkennbarkeit des Absenders: Die Identität des Absenders muss eindeutig erkennbar sein, etwa durch Telefonnummer oder Kontext.
  • Textbasierte Inhalte: Nur schriftliche oder textbasierte Nachrichten (einschließlich PDF-Dateien oder Fotos) erfüllen die Schriftform. Sprachnachrichten oder Video-Attachments genügen hingegen nicht.

Das OLG München bestätigte, dass WhatsApp grundsätzlich die Voraussetzungen der Schriftform erfüllen kann. Im vorliegenden Fall war dies jedoch unerheblich, da die Nachrichten keinen klaren Rechtsbindungswillen erkennen ließen.

Emojis im Rechtsverkehr: Wann haben sie Bedeutung?

Emojis, die fester Bestandteil der digitalen Kommunikation sind, können rechtlich als Teil einer Willenserklärung betrachtet werden. Ihre Auslegung erfolgt nach den allgemeinen Regeln des Vertragsrechts (§§ 133, 157 BGB): Entscheidend ist, wie ein verständiger Empfänger die Nachricht im konkreten Kontext verstehen durfte.

Der Fall: Emojis als Zustimmung zur Lieferfristverlängerung?

Der Händler stützte sich auf die Verwendung zweier Emojis in den WhatsApp-Nachrichten des Klägers:

  1. „Grimassen schneidendes Gesicht“-Emoji ():
    Dieses Emoji wurde in einer Nachricht des Klägers verwendet, als der Händler über die Verschiebung des Liefertermins informierte. Das Gericht stellte klar, dass dieses Emoji nach gängigen Lexika Nervosität, Unbehagen oder Verlegenheit ausdrückt. Eine Zustimmung zur Lieferfristverlängerung konnte daraus nicht abgeleitet werden.
  2. „Daumen-hoch“-Emoji ():
    Dieses Emoji signalisiert in der Regel Zustimmung. Im konkreten Fall bezog es sich jedoch auf eine Bestätigung der Fahrzeugkonfiguration und nicht auf die Frage der Lieferfrist. Der Kontext der Nachricht war entscheidend: Eine ausdrückliche Zustimmung zur Verzögerung konnte das Gericht darin nicht erkennen.

Die Auslegung von Emojis erfolgt somit stark kontextabhängig. Unterstützend können Emoji-Lexika hinzugezogen werden, um die Bedeutung der Symbole einzuordnen.

Entscheidung des Gerichts

Das Gericht entschied zugunsten des Käufers. Der Rücktritt vom Kaufvertrag war wirksam, da:

  • Der Händler den Lieferverzug trotz angemessener Nachfrist nicht beheben konnte.
  • Die Kommunikation über WhatsApp keine rechtsverbindliche Verlängerung des Liefertermins bewirkte.
  • Emojis keinen Rechtsbindungswillen des Käufers signalisierten.

Die Widerklage des Händlers auf Schadensersatz wurde abgewiesen.

Praktische Konsequenzen für den Rechtsverkehr

  1. WhatsApp-Nachrichten und Verträge:
    Digitale Kommunikation kann formale Anforderungen an Schriftform oder Textform erfüllen. Vertragspartner sollten jedoch klare und eindeutige Nachrichten verwenden, um Missverständnisse zu vermeiden. Sprachnachrichten oder multimediale Inhalte sind ungeeignet, um rechtliche Formvorschriften zu wahren.
  2. Emojis mit Vorsicht verwenden:
    Emojis können rechtlich relevant sein, sind jedoch stark kontextabhängig. Sie sollten in geschäftlicher Kommunikation sparsam und präzise eingesetzt werden, da ihre Bedeutung von Empfänger zu Empfänger variieren kann.
  3. Eindeutige Vereinbarungen:
    Insbesondere bei Fristsetzungen oder Vertragsänderungen ist eine schriftliche oder textlich eindeutig formulierte Erklärung unerlässlich. Emojis oder lockere Formulierungen bergen das Risiko von Missverständnissen und rechtlichen Streitigkeiten.

Fazit

Das Urteil zeigt, wie digitale Kommunikationsformen wie WhatsApp und Emojis im rechtlichen Kontext zu bewerten sind. Moderne Kommunikationsmittel sind zwar praktisch, bergen jedoch erhebliche Interpretationsrisiken. Für Vertragspartner gilt: Bei wichtigen Vereinbarungen sollte auf klare, schriftliche Erklärungen zurückgegriffen werden – ohne Abkürzungen oder Symbole, die missverstanden werden könnten.

Stefan Lutz, LL.M.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht
externer Datenschutzbeauftragter
Lehrbeauftragter für IT-Recht an der RWU

Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Stefan Lutz, LL.M. berät Firmen und private Mandanten in den Rechtsgebieten des IT-Rechts, wozu unter anderem das Datenschutzrecht (BDSG, DSGVO, TDDDG...), Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, E-Commerce-Recht, Social Media Recht und das Recht der Künstlichen Intelligenz gehören.

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