Das OLG Frankfurt hat mit Urteil vom 14.1.2021 – 6 U 256/19 entschieden:
1. Das Angebot von Textilien unter der Materialangabe „Acryl“ verstößt gegen die Marktverhaltensregeln in Art. 5 Abs. 1, 15 Abs. 3, 16 Abs. 1 und 3 TextilKennzVO, wenn es sich bei dem verwendeten Material tatsächlich um Polyacryl handelt.
2. Der Verstoß ist jedoch nicht geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar im Sinnen von § 3a UWG zu beeinträchtigen. Der angesprochene Verkehr wird keine Veranlassung zu der Annahme haben, es handele sich bei „Acryl“ um eine andere Faser als „Polyacryl“. Er wird vielmehr umgangssprachlich den Begriff „Acryl“ als Abkürzung für „Polyacryl“ verwenden.
Tatbestand (gekürzt)
Nachdem die Klägerin von einer Dritten am 17.8.2018 (Anlage AS 8, Bl. 214 d.A.) wegen der Verwendung der Materialangabe „Acryl“ im Partnershop der Beklagten abgemahnt worden war, forderte die Klägerin am 24.8.2018 (Anlage AS 9, Bl. 220 d.A.) die Beklagte zur Änderung der Materialbezeichnung sowie zur Freistellung hinsichtlich des durch die Abmahnung entstandenen Schadens auf. Nachdem die Beklagte sich weigerte und den Shop der Klägerin abschaltete, mahnte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 11.9.2018 (Anlage K 6) ab. Zeitgleich sprach die Klägerin Abmahnungen gegenüber zwölf Shop-Partnern der Beklagten aus, die alle die Bezeichnung „Acryl“ betrafen.
Entscheidung des Gerichts
Der Verstoß gegen die Marktverhaltensregel der TextilKennzVO (hier Benennung Acryl statt Polyacryl) ist jedoch nicht geeignet, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.
a) Die Spürbarkeit ist nicht allein deshalb zu bejahen, weil die TextilKennzVO eine europarechtlich begründete Informationspflicht begründet.
Der BGH hat allerdings unter der Geltung des § 5a Abs. 2 UWG a.F. verschiedentlich angenommen, das Erfordernis der Spürbarkeit nach § 3 Abs. 1 und 2 Satz 1 UWG a.F. sei ohne weiteres erfüllt, wenn dem Verbraucher Informationen vorenthalten würden, die das Unionsrecht als wesentlich einstufe. Er hat daran jedoch unter der Geltung des mit Wirkung vom 10.12.2015 geänderten § 5a Abs. 2 UWG nicht festgehalten. Die Voraussetzungen des dort geregelten Unlauterkeitstatbestands, dass der Verbraucher die ihm vorenthaltene wesentliche Information „je nach den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen“ und „deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte“, stellen nach § 5a Abs. 2 Nrn. 1 und 2 UWG zusätzliche Tatbestandsmerkmale dar, die als solche selbstständig geprüft werden müssen (BGH GRUR 2017, 922 Rn 31 – Komplettküchen).
Für das Erfordernis der Spürbarkeit im Sinne von § 3a UWG gilt nichts Anderes. Besteht der Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung darin, dass dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthalten wird, ist dieser Verstoß nur dann spürbar nach § 3a UWG, wenn er die ihm vorenthaltene wesentliche Information je nach den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte(BGH GRUR 2019, 82 Rn 30, 31 – Jogginghosen).
b) Den Unternehmer, der geltend macht, dass der Verbraucher – abweichend vom Regelfall – eine ihm vorenthaltene wesentliche Information für eine Kaufentscheidung nicht benötigt und das Vorenthalten dieser Information den Verbraucher nicht zu einer anderen Kaufentscheidung veranlassen kann, trifft insoweit eine sekundäre Darlegungslast. Der Verbraucher wird eine wesentliche Information im Allgemeinen für eine informierte Kaufentscheidung benötigen. Ebenso wird, sofern im konkreten Fall keine besonderen Umstände vorliegen, grundsätzlich davon auszugehen sein, dass das Vorenthalten einer wesentlichen Information, die der Verbraucher nach den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen, geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er bei der gebotenen Information nicht getroffen hätte (BGH GRUR 2017, 922 Rn 32-34 – Komplettküchen; BGH GRUR 2019, 82 Rn 32 – Jogginghosen).
c) Im vorliegenden Fall liegen besondere Umstände im diesem Sinne vor. Der angesprochene Verkehr, zu dem auch die Mitglieder des erkennenden Senates gehören, wird keine Veranlassung zu der Annahme haben, es handele sich bei „Acryl“ um eine andere Faser als „Polyacryl“. Der Verkehr wird vielmehr umgangssprachlich den Begriff „Acryl“ als Abkürzung für Polyacryl verwenden. Dies schon deshalb, weil dem Verkehr keine andere Acrylfaser bekannt ist. Soweit der Kläger darauf verweist, dass Anhang I in Nr. 29 auch die Faserbezeichnung „Modacryl“ aufführt, so dass für den Verbraucher die zusätzliche Unsicherheit entstehen könne, ob der Begriff „Acryl“ nicht auch für „Modacryl“ steht, ist dies nicht geeignet, eine Spürbarkeit zu begründen. Der juristisch nicht gebildete Verkehr wird sich nämlich bei seiner Anschauung nicht an der Anlage zur TextilKennzVO orientieren, sondern am allgemeinen Sprachgebrauch.
Soweit der Kläger darauf verwiesen hat, der BGH habe in seiner Jogginghosen-Entscheidung gegenteilig entschieden, entspricht dies nicht den Tatsachen. Zwar hatte der BGH in der Hauptsache mangels Revisionseinlegung zu diesem Punkt nicht zu entscheiden; die Verurteilung des OLG München hinsichtlich der Abmahnkosten hat der Bundesgerichtshof jedoch gebilligt. Die dort zugrundeliegende Bezeichnung lautete allerdings „Acrylic“. Bei der Bezeichnung mag der Verkehr aufgrund der ungewöhnlichen, dem Verkehr unbekannten Bezeichnung Veranlassung gehabt haben, irritiert zu sein und ggf. auch ein anderes Material anzunehmen. Dies ist nicht vergleichbar mit der weit verbreiteten und üblichen Bezeichnung „Acryl“, die die Beklagte verwendet hat.
Das Vorenthalten dieser Information ist daher nicht geeignet, ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er bei Angabe des Begriffs „Polyacryl“ nicht getroffen hätte.
https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE210000346
Stefan Lutz, LL.M.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht
externer Datenschutzbeauftragter
Lehrbeauftragter für IT-Recht an der RWU
Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Stefan Lutz, LL.M. berät Firmen und private Mandanten in den Rechtsgebieten des IT-Rechts, wozu unter anderem das Datenschutzrecht (BDSG, DSGVO, TDDDG...), Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, E-Commerce-Recht, Social Media Recht und das Recht der Künstlichen Intelligenz gehören.
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