In einer Ära, in der digitale Kommunikation immer wichtiger wird, hat das Oberlandesgericht Rostock eine entscheidende Entscheidung zum Zugang einfacher E-Mails getroffen. Der Beschluss des OLG Rostock ist für jeden relevant, der E-Mails für offizielle und rechtliche Kommunikationen nutzt. Hier erkläre ich Ihnen die Details und Bedeutung dieses Urteils in einer einfachen und leicht verständlichen Weise.
Was wurde entschieden?
Das OLG Rostock hat in seinem Beschluss vom 3. April 2024 (Aktenzeichen 7 U 2/24) klargestellt, dass der Anscheinsbeweis für den Zugang einer einfachen E-Mail nicht anwendbar ist. Dies bedeutet, dass es keine allgemeine rechtliche Annahme gibt, die besagt, dass eine E-Mail den Empfänger erreicht hat, nur weil sie abgesendet wurde und keine Fehlermeldung (z.B. eine Unzustellbarkeitsnachricht) erhalten wurde.
Warum wurde dieser Beschluss gefällt?
Das Gericht argumentiert, dass bei einer einfachen E-Mail (ohne Empfangs- oder Lesebestätigung) nicht automatisch davon ausgegangen werden kann, dass diese den Empfänger erreicht hat. Es gibt viele Gründe, warum eine E-Mail möglicherweise nicht ankommt – sie könnte durch einen Spamfilter blockiert, versehentlich gelöscht oder einfach übersehen werden. Daher ist es nicht gerechtfertigt, einen rechtlichen Anscheinsbeweis anzunehmen, der den Zugang einer E-Mail voraussetzt.
Das OLG Rostock führt in dem Beschluss hierzu aus:
Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet keinen Bedenken. Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der vom Landgericht getroffenen Feststellungen i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bestehen, auch bei Zugrundelegung eines grundsätzlich gebotenen großzügigen Maßstabes, wonach es für die Bejahung von Zweifeln ausreicht, dass eine gewisse – nicht notwendigerweise überwiegende – Wahrscheinlichkeit für eine Unvollständigkeit bzw. Unrichtigkeit streitet (Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 529 Rn. 8; BeckOK ZPO/Wulf, 51. Edition – 01.12.2023, § 529 Rn. 8 f., m.w.N.), nicht. Die Einschätzung des Landgerichts (UA Seiten 5 f.), es könne in Anbetracht des Fehlens einer Erinnerung an das konkrete (Fern-) Gespräch jedenfalls nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Fertigung und Versendung des vermeintlichen Vertrags- bzw. Bestätigungsschreibens durch den Zeugen … im Nachgang zu dem streitbegriffenen Telefonat schlicht auf einem Missverständnis des Gesprächsinhalts beruhen, die Beklagte also ggf. tatsächlich – jedenfalls nicht ausschließbar – nur eine Preisanfrage formuliert haben und damit belastbare Rückschlüsse auf den Gesprächsinhalt nicht gezogen werden könnten, erscheint mindestens nachvollziehbar und wird auch durch die Ausführungen in der Berufungsbegründung nicht erschüttert. Letztlich hat der Zeuge … die Frage, ob er ein Missverständnis ausschließen könne, auch nicht bzw. nur ausweichend beantwortet (…).
2. Auch auf die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens kann die Klägerin sich nicht mit Erfolg stützten. Dieser hilfsweise Argumentationsstrang der Klägerin scheitert jedenfalls daran, dass nach Beweislastgrundsätzen nicht von dem beklagtenseits bestrittenen Zugang (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB) des vermeintlichen Bestätigungsschreibens ausgegangen werden kann. Die Beweislast für den Zugang liegt – darüber besteht im Ausgangspunkt auch zwischen den Parteien Konsens – bei der Klägerin. Dabei kommt der Klägerin die von ihr reklamierte Beweiserleichterung eines Anscheinsbeweises nicht zu Gute. Taugliche Beweisantritte liegen nicht vor.
a) Für die Annahme eines Anscheinsbeweises für den Zugang einer feststehendermaßen abgesandten (einfachen, insbesondere ohne Empfangs- oder Lesebestätigung übermittelten) E-Mail sieht der Senat keine Grundlage. Die von der Klägerin für ihren gegenteiligen Standpunkt zuletzt in der Berufungsbegründung zitierte instanzgerichtliche Entscheidung (AG Frankfurt a. M., Urteil vom 23.10.2008 – 30 C 730/08, BeckRS 2009, 5792), die einen Anscheinsbeweis bejaht hat, ist vereinzelt geblieben und hat sich nicht durchgesetzt. Hierauf hat bereits die Beklagte in der Berufungserwiderung unter Fundstellenangabe zutreffend hingewiesen. Es entspricht in der (insbesondere auch obergerichtlichen) Rechtsprechung sowie im Kommentarschrifttum nahezu einhelliger Auffassung, dass für den Zugang einer (im vorbezeichneten Sinne einfachen) E-Mail allein aufgrund des Feststehenden Absendens, auch in Verbindung mit dem feststehenden Nichterhalt einer Unzustellbarkeitsnachricht auf Seiten des Absenders, kein Anscheinsbeweis streitet (etwa: OLG Hamm, Beschluss vom 10.08.2023 – I-26 W 13/23 [Juris; Tz. 5 ff.]; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.08.2018 – 2 Sa 403/18 [Juris; Tz. 39]; LAG Köln, Urteil vom 11.01.2022 – 4 Sa 315/21, MDR 2022, 392 [Juris; Tz. 58 f.]; LG Hagen, Beschluss vom 31.03.2023 – 10 O 328/22 [Juris; Tz. 9]; Erman/Arnold, BGB, 17. Aufl. 2023, § 130 Rn. 33; jurisPK-BGB/Reichold, 10. Aufl. 2023 [Stand: 15.05.2023], § 130 Rn. 65; Staudinger/Singer/Benedict, BGB, Neubearbeitung 2021, § 130 Rn. 110; BeckOK IT-Recht/Borges, 13. Edition – 01.05.2021, BGB § 130 Rn. 58; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 130 Rn. 21; BeckOGK BGB/Gomille, Stand: 01.09.2022, § 130 Rn. 135, m.w.N.). Diese Auffassung teilt auch der Senat. Der Zugang mag unter den genannten Voraussetzungen – sofern sie ihrerseits unbestritten oder erwiesen sind und damit prozessual feststehen – „die Regel“ darstellen, ist aber letztlich jedenfalls unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen (noch) nicht in einem Maße typisch, dass die Bejahung einer prima-facie-Beweiserleichterung gerechtfertigt wäre.
b) Soweit die Klägerin zum Beweis des E-Mail-Zugangs bei der Beklagten auf eine Vorlage bzw. Offenlegung der gesamten elektronischen Posteingänge der Beklagten im hier interessierenden Zeitraum durch die Beklagte verweist, war und ist diesem Beweisantritt nicht nachzugehen. Nicht anders als in der „analogen“ Welt, in der ein Zugangsnachweis in einem Zivilprozess unstreitig nicht dadurch geführt werden könnte, dass die Briefkästen oder gar Wohn- und Geschäftsräume des vermeintlichen Empfängers umfassend auf den in Rede stehenden Brief „durchforstet“ werden und der Prozessgegner diese Maßnahme zu dulden bzw. an ihr gar aktiv mitzuwirken hätte, kann der Beweis des Zugangs einer E-Mail nicht dadurch erbracht werden, dass der vermeintliche Adressat selbst seinen E-Mail-Account mit dem virtuellen Posteingangskorb und ggf. weiteren Ablageordnern („Gelöschte Elemente“ o.ä.) zu Beweiszwecken gleichsam zur Verfügung stellen müsste (auch nicht indirekt im Rahmen einer sachverständigen Begutachtung; LG Duisburg, Beschluss vom 28.06.2010 – 12 S 67/10, RRa 2011, 25 [Juris; Tz. 10]). Ob für die Beklagte hinsichtlich des in Rede stehenden (E-Mail-) Schreibens eine steuer- oder handelsrechtliche Aufbewahrungspflicht bestanden hätte, spielt insoweit keine Rolle. Unabhängig hiervon bieten für eine entsprechende Beweisführung weder die §§ 371 ff. ZPO noch die §§ 142 ff. ZPO eine Grundlage. Die Klägerin selbst hat auch keine rechtliche Grundlage für ihren Beweisantritt benannt
OLG Rostock, Beschluss vom 03.04.2024 – 7 U 2/24-
Allerdings hat der BGH am 6.10.2022 – VII ZR 895/21 noch entschieden:
Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen
BGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21
Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.
Der BGH führte hierzu – nahezu konträr – aus:
Zum Teil wird angenommen, dass eine E-Mail dem Empfänger unmittelbar in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 15. März 2012 – Verg 2/12, NZBau 2012, 460, juris Rn. 50; LG Hamburg, Urteil vom 7. Juli 2009 – 312 O 142/09, MMR 2010, 654, juris Rn. 19; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 130 Rn. 7a; Bierekoven in Auer-Reinsdorff/Conrad, Handbuch IT- und Datenschutzrecht, 3. Aufl., § 26 E-Commerce und Fernabsatzrecht Rn. 24; Holzbach/Süßenberger in Moritz/Dreier, Rechts-Handbuch zum E-Commerce, 2. Aufl., Abschnitt C Rn. 169; Hoeren/Sieber/Holznagel/Kitz, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 13.1 Rn. 101; MünchKommBGB/Einsele, 9. Aufl., § 130 Rn. 18 f.; Wertenbruch, JuS 2020, 481, 485; Herwig, MMR 2001, 145, 146; Taupitz/Kritter, JuS 1999, 839, 842; Heun, CR 1994, 595, 598). Eine Ausnahme soll für den Fall gelten, dass die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingeht; in diesem Fall liege der Zugang der Erklärung am Folgetag (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Juli 2011 – 24 U 186/10, juris Rn. 33 ff.; AG Meldorf, Urteil vom 29. März 2011 – 81 C 1601/10, NJW 2011, 2890, juris Rn. 20 ff.; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 130 Rn. 7a; Bierekoven in Auer-Reinsdorff/Conrad, Handbuch IT- und Datenschutzrecht, 3. Aufl., § 26 E-Commerce und Fernabsatzrecht Rn. 24; Holzbach/Süßenberger in Moritz/Dreier, Rechts-Handbuch zum E-Commerce, 2. Aufl., Abschnitt C Rn. 169; Ultsch, NJW 1997, 3007, 3008).
(2) Nach anderer Ansicht geht eine E-Mail dem Empfänger, wenn ein Abruf im geschäftlichen Verkehr erwartet werden kann, an dem Tag zu, an dem sie abrufbereit im Postfach liegt. Maßgeblich ist danach, wann der Absender mit einer Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen kann. Insoweit wird angenommen, dass ein Abruf der E-Mails spätestens bis zum Ende der Geschäftszeit zu erwarten ist (vgl. Härting, Internetrecht, 6. Aufl. Rn. 681; Köhler/Fetzer, Recht des Internet, 8. Aufl. Rn. 181; Redeker, IT-Recht, 7. Aufl. Rn. 926; Thalmair, NJW 2011, 14, 16; Ultsch, NJW 1997, 3007, 3008; Krüger/Bütter, WM 2001, 221, 228; Glatt, ZUM 2001, 390, 394; BeckOGK BGB/Gomille, Stand: 1. September 2022 § 130 Rn. 75; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 7. Mai 2002 – 2HK O 9434/01, NJW-RR 2002, 1721, juris Rn. 35).
(3) Der Streitfall gibt keinen Anlass, die Rechtsfrage umfassend zu entscheiden. Jedenfalls für den nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts gegebenen Fall, dass die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit ist die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.
Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver ist jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können. Elektronische Willenserklärungen in Form von E-Mails werden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser wird über den Eingang der E-Mail unterrichtet. In diesem Zeitpunkt ist der Empfänger in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen (vgl. zum technischen Ablauf: Härting, Internetrecht, 6. Aufl., Rn. 671; Redeker, IT-Recht, 7. Aufl. Rn. 925; Krüger/Bütter, WM 2001, 221, 227).
Was bedeutet das für Sie?
Wenn Sie eine E-Mail senden, insbesondere in einem rechtlichen Kontext, können Sie nicht immer davon ausgehen, dass die E-Mail vor Gericht auch tatsächlich als zugestellt gilt, nur weil keine Fehlermeldung zurückkommt. Das bedeutet, dass, wenn es wichtig ist, den Zugang einer E-Mail zu beweisen (zum Beispiel in einem Gerichtsverfahren), Sie zusätzliche Maßnahmen ergreifen sollten. Dies könnte beispielsweise das Anfordern einer Übermittlungsbestätigung (keine Lesebestätigung, da diese der Nutzer auch nicht abgeben kann) oder das Nutzen anderer, sicherer Kommunikationsmethoden sein.
Fazit
Dieses Urteil des OLG Rostock unterstreicht die Notwendigkeit, bei der Nutzung von E-Mails für rechtliche oder wichtige geschäftliche Kommunikation vorsichtig zu sein. Es ist wichtig, dass Sie nicht davon ausgehen, dass eine E-Mail den Empfänger erreicht hat, ohne dass dies durch zusätzliche Nachweise bestätigt wird. Dies schützt Sie vor rechtlichen Unsicherheiten und stellt sicher, dass Ihre Kommunikation so effektiv und sicher wie möglich ist.
Den Beschluss des OLG Rostock halte ich für falsch. Insbesondere die Ausführungen dazu, dass eine Email auch im Spam-Ordner landen oder versehentlich gelöscht werden kann, halte ich für konstruiert und an den Haaren herbeigezogen. Letztendlich zeigt der Beschluss aber, wie wichtig es ist, rechtssichere Kommunikation bei wichtigen Angelegenheiten einzuhalten.
Für weitere Details zu diesem Thema oder wenn Sie spezifische rechtliche Beratung benötigen, zögern Sie nicht, einen Fachanwalt zu konsultieren. Bleiben Sie informiert und sichern Sie Ihre Kommunikation ab, um potenzielle rechtliche Herausforderungen zu vermeiden.
Stefan Lutz, LL.M.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht
externer Datenschutzbeauftragter
Lehrbeauftragter für IT-Recht an der RWU
Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Stefan Lutz, LL.M. berät Firmen und private Mandanten in den Rechtsgebieten des IT-Rechts, wozu unter anderem das Datenschutzrecht (BDSG, DSGVO, TDDDG...), Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, E-Commerce-Recht, Social Media Recht und das Recht der Künstlichen Intelligenz gehören.
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