Seit dem 1.1.2002, also seit nunmehr 18 Jahren, gibt es eine bislang unbeachtete Vorschrift in der ZPO, welche es den Anwälten ermöglicht, anstatt sich die Füße in dunklen Gerichtsfluren platt zu treten, weite Reisen auf sich zu nehmen und darauf zu warten, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung beginnt (und in 5 Minuten wieder zu Ende ist), gemütlich vom heimischen Schreibtisch aus an der Verhandlung via Videokonferenz teilzunehmen. Soweit die Theorie.
Das Gesetz sieht in der derzeitigen Fassung wie folgt aus:
§ 128a Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung
(1) 1Das Gericht kann den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.
(2) 1Das Gericht kann auf Antrag gestatten, dass sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder eine Partei während einer Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Ist Parteien, Bevollmächtigten und Beiständen nach Absatz 1 Satz 1 gestattet worden, sich an einem anderen Ort aufzuhalten, so wird die Vernehmung auch an diesen Ort übertragen.
(3) 1Die Übertragung wird nicht aufgezeichnet. Entscheidungen nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 sind unanfechtbar.
In der Praxis sieht dies leider völlig anders aus. Es gibt kaum einen Grund, welchen Gerichte nicht bemühen, weshalb eine 18 Jahre alte Vorschrift ausgerechnet in ihrem Gericht nicht angewandt werden kann. Eine interessante neue Begründung führt nun das Landgericht Hannover in seinem Beschluss vom 8.1.2020 aus. Hier wird mir seitens des Gerichts mitgeteilt, dass ich für eine Terminsgebühr von 890,40 EUR netto doch gefälligst meinen Allerwertesten nach Hannover bewegen könne.
Was das Gericht hierbei missversteht ist, dass die Terminsgebühr ungeachtet der Tatsache, ob ich persönlich vor Ort bin oder per Videokonferenz zugeschaltet bin entsteht. Auch entsteht die Terminsgebühr in derselben Höhe, wenn die Parteien einen Vergleich aushandeln, welcher dann vom Gericht protokolliert wird und ich die ganze Zeit am Schreibtisch verbracht habe.
Ich befürchte aber, dass dies nur ein vorgeschobener Grund ist und der wahre Grund in der desaströsen technischen Ausstattung unserer Gerichte zu suchen ist. Dies lässt das Landgericht Hannover ebenfalls durchsickern. Und das, obwohl Hannover extra eine solche Videokonferenzanlage gekauft und installiert hat. Aber das Gericht, also die hier entscheidende Kammer, mag wohl nicht aus ihrem Sitzungssaal herausgehen. Auch verständlich, kommen doch alle Anwälte brav zu ihnen.
Stellt sich letztendlich nur noch die Frage, für welche Verfahren die Videokonferenzanlage genutzt wird? Nur für Verfahren mit geringen Streitwerten? Nur dann, wenn es den Richtern beliebt? All dies findet sich in der genannten Vorschrift der ZPO jedoch nicht. Ich werde daher weiterhin Anträge nach § 128a Abs. 1 ZPO stellen und weiter berichten.
Update (6.2.2020)
Heute ging mir ein ebenfalls abweisender Beschluss des LG Berlin vom 31.1.2020 – 15 O 73/19 – zu. Auch hier wurde der Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung mit einem abenteuerlichen Satz abgelehnt:
Aha. Wenn also Vergleichsgespräche im Raum stehen, gilt § 128a ZPO auch nicht. Fassen wir zusammen: Entweder der Streitwert ist zu hoch, die Videokonferenzanlage nicht vorhanden, oder aber es stehen Vergleichsgespräche an (möglicherweise).
Stefan Lutz, LL.M.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht
externer Datenschutzbeauftragter
Lehrbeauftragter für IT-Recht an der RWU
Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Stefan Lutz, LL.M. berät Firmen und private Mandanten in den Rechtsgebieten des IT-Rechts, wozu unter anderem das Datenschutzrecht (BDSG, DSGVO, TDDDG...), Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, E-Commerce-Recht, Social Media Recht und das Recht der Künstlichen Intelligenz gehören.
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