Widerrufsrecht bei Online-Coaching-Verträgen: Ein Überblick zum Urteil des LG Landshut

Sachverhalt

der Kläger im Fall des Landgerichts Landshut, Urteil vom 10.5.2024 – 54 O 305/24 – hatte im Herbst 2022 aufgrund von Werbung auf YouTube und Instagram einen Coachingvertrag abgeschlossen. Dieser Vertrag sollte ihm helfen, durch das Programm “Digital Reselling – Einkommen auf Autopilot” ein passives Einkommen zu generieren. Der Vertrag wurde telefonisch abgeschlossen, wobei der Kläger ein Onlineformular ausfüllte und dabei einer Checkbox zustimmte, die den sofortigen Beginn der Dienstleistung und den Verzicht auf das Widerrufsrecht vorsah. Nach der Zahlung von 1.927,80 € entschied sich der Kläger jedoch, den Vertrag zu widerrufen. Die Coaching-Firma lehnte dies ab, woraufhin der Kläger Klage beim Landgericht Landshut einreichte.

Entscheidung des Gerichts

Das Landgericht Landshut entschied zugunsten des Klägers. Hier sind die wesentlichen Punkte der Entscheidung:

Vertrag und Widerrufsrecht: Das Gericht bestätigte, dass ein Fernabsatzvertrag gemäß § 312c BGB vorlag. Der Kläger wurde als Verbraucher im Sinne des § 13 BGB eingestuft, da er arbeitsuchend war und der Vertrag nicht zu gewerblichen Zwecken abgeschlossen wurde (Rn. 18-20).

    Konkret führt das Landgericht hierzu aus:

    In der Anhörung hat der Kläger angegeben, dass er (wie immer noch) zum Zeitpunkt Vertragsschlusses arbeitssuchend war und gelernter Kfz-Mechatroniker ist. Er hat für sich eine Selbstständigkeit überlegt, kann diese allerdings noch nicht anstreben, da er den dafür erforderlichen Meisterbrief noch nicht vorweisen kann. Damit war offenbar eine Selbstständigkeit im Bereich Kfz-Mechatronik, da er dafür den Meisterbrief benötigt. Er hat auch angegeben, dass er sich für das Beratungsgespräch nur aus Neugier angemeldet hat. Ob er sich tatsächlich, wie man dem vom Kläger angeführten Beitrag des Comedians Jan Böhmermann entnehmen kann, zur Einkommensgenerierung „mittels zerrissener Hosen“ breitschlagen lassen wollte, konnte der Anhörung des Klägers nicht entnommen werden. Neugier allein verleitet einen Verbraucher nicht dazu, sich im Hinblick auf kaum nachvollziehbare Versprechung ohne jede Substanz (Einkommen ohne jeglichen Arbeitseinsatz, weil „Autopilot“) selbstständig zu machen oder eine selbstständige Tätigkeit vorzubereiten.

    In Anbetracht dessen ist der Kläger somit nicht als Existenzgründer einzustufen, da er sich noch nicht zur Aufnahme eines Unternehmens entschlossen hat, sondern diese Entscheidung (zur Führung eines Unternehmens wie –) allenfalls vorbereitet hat (zum Thema progressive Kundenwerbung instruktiv BGH NJW 2011, 1236). Sollte sich der Kläger nach Inanspruchnahme des „Coachings“ der Beklagten, welches tatsächlich durch die – – erfolgen sollte, wirklich zu einer „Einkommensgenerierung im Autopilot“ entschließen, hätte er diese Entscheidung erst nach dem Coaching getroffen, das Coaching selber wäre allenfalls eine Art von Informationsbeschaffung gewesen. Die von der Beklagten vertriebenen Coachings dienen also allenfalls der Vorbereitung einer Entscheidung, ob man eine Existenz gründen möchte oder nicht (vgl. insoweit BeckOK, BGB, 69. Edition, 01.02.2024, BGB § 13).

    Ganz interessant sind die Ausführungen des Gerichts zum Vorhalten einer Checkbox zum Verzicht auf das Widerrufsrecht bei Verträgen, die angeblich nur im B2B Bereich abgeschlossen werden. Diese Checkbox ist bei einer Vielzahl von Online-Coaching-Verträgen beim Abschluss zu finden, da somit zusätzlich das Widerrufsrecht ausgehebelt werden soll:

    Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum die Beklagte ausdrücklich eine Checkbox mit dem Verzicht auf ein Widerrufsrecht aufnimmt, wenn es sich bei den Kunden der von ihr vertriebenen Coachings regelmäßig um Existenzgründer handeln sollte. Eine solche Checkbox wäre im Verkehr unter Unternehmern schlicht überflüssig. In diesem Falle wäre zu erwarten, dass eine solche Checkbox gar nicht erst vorgesehen ist, vielmehr würde dies (für den Fall der tatsächlich vorhandenen Existenzgründereigenschaft) die Vertragspartner eher noch verwirren und ihnen vorspiegeln, dass tatsächlich ein Widerrufsrecht bestehen würde.

    Unvollständige Belehrung: Die Widerrufsfrist hatte aufgrund fehlender ordnungsgemäßer Belehrung gemäß § 356 Abs. 3 BGB nicht zu laufen begonnen. Der Widerruf wurde daher wirksam erklärt (Rn. 25).

    Unvollständige Leistungserbringung: Das Gericht stellte fest, dass die Dienstleistung noch nicht vollständig erbracht wurde, weshalb das Widerrufsrecht nicht erloschen war (Rn. 27).

    Rückzahlung: Die Beklagte wurde zur Rückzahlung der bereits gezahlten 1.927,80 € nebst Zinsen verurteilt (Rn. 28).

    Feststellung: Es wurde festgestellt, dass der Beklagten kein Anspruch auf weitere Zahlungen in Höhe von 3.808 € zusteht (Rn. 30).

      Auswirkungen für die Praxis

      Dieses Urteil verdeutlicht einige wichtige Aspekte für Mandanten, die Online-Coaching-Verträge abschließen:

      1. Verbraucherrechte: Auch wenn eine Checkbox zur Zustimmung des sofortigen Vertragsbeginns und dem Verzicht auf das Widerrufsrecht angeklickt wird, können Verbraucher ihre Rechte wahren, wenn sie nicht ordnungsgemäß belehrt wurden.
      2. Fernabsatzverträge: Verträge, die online oder telefonisch abgeschlossen werden, unterliegen dem Fernabsatzrecht, das den Verbrauchern besondere Schutzrechte, wie das Widerrufsrecht, einräumt.
      3. Existenzgründung: Auch wenn die Dienstleistungen zur Vorbereitung einer Selbstständigkeit dienen, bedeutet dies nicht automatisch, dass der Kunde als Unternehmer betrachtet wird. Solange die Selbstständigkeit noch nicht konkret aufgenommen wurde, bleibt der Kunde Verbraucher.

      Fazit

      Das Urteil des Landgerichts Landshut stärkt die Rechte der Verbraucher bei Online-Coaching-Verträgen. Es zeigt, dass eine unzureichende Belehrung über das Widerrufsrecht nicht zum Verlust dieses Rechts führt und dass Verbraucher, selbst wenn sie eine Selbstständigkeit in Erwägung ziehen, unter bestimmten Umständen weiterhin als solche geschützt sind. Online-Coaching Teilnehmer sollten ihre Rechte kennen und im Zweifelsfall rechtlichen Rat einholen, um sich gegen unfaire Vertragsbedingungen zu wehren.

      Das Urteil finden Sie im Volltext hier

      Stefan Lutz, LL.M.

      Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht
      externer Datenschutzbeauftragter
      Lehrbeauftragter für IT-Recht an der RWU

      Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht Stefan Lutz, LL.M. berät Firmen und private Mandanten in den Rechtsgebieten des IT-Rechts, wozu unter anderem das Datenschutzrecht (BDSG, DSGVO, TDDDG...), Urheberrecht, Wettbewerbsrecht, Markenrecht, E-Commerce-Recht, Social Media Recht und das Recht der Künstlichen Intelligenz gehören.

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